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Differenzierung in heterogenen Lerngruppen

Liebe Inga, es freut mich, dass dir dieser Blog gefällt. Du fragst, wie ich in meiner Klasse differenziert habe. Da ich vermute, dass dies von allgemeinerem Interesse ist, antworte ich dir hier.

 

Zunächst mal gab es an meiner Schule sehr vielen Integrationsklassen. Darum konnten wir die Schüler nach Alter und Vorwissen aufteilen. Neben 3 Auffangklassen (Kl. 5-6 / 7 / 8-9) für Schüler, die mit normaler Schulbiographie an unsere Schule kamen, gab es eine Förderklasse für Schüler Kl. 7- 9, die bald in den Regelunterricht integriert werden sollten und zwei Fördergruppen, die  jeweils einer 5. und einer 6. Regelklasse zugeordnet waren. Die Schüler meiner ABC-Klasse passten in all diese Lerngruppen nicht hinein, weil ihr Vorwissen einfach zu gering war. In  Integrationsgruppen für Erwachsene und in internationalen Klassen fallen solche Lerner oft durch's Raster. Sie versuchen über das Erinnern und Abschreiben mitzukommen und werden nicht selten als Schlusslichter nur mitgezogen. Verglichen mit solchen Lernverhältnissen gab es bei uns eine äußere Differenzierung, die anderswo kaum möglich ist, die aber eigentlich selbstverständlich sein sollte. Im Sport trainiert man ja auch nicht Profis, unsportliche Menschen wie mich und Rollatorfahrer gemeinsam in einer Mannschaft. Und wenn es Pflicht ist, 1000 Stunden Integrationskurse zu besuchen, dann sollten die auch so gestaltet sein, dass die Lerner im Rahmen ihrer Möglichkeiten partizipieren können. Sonst lädt man sie besser zum fröhlichen Kaffeetrinken mit ehrenamtlichen Muttersprachlern ins Gemeindehaus ein. Das wäre weniger frustrierend und auch billiger.

 

Trotzdem war meine ABC-Gruppe noch heterogen genug, um dort binnendifferenziert arbeiten zu müssen. Mein erstes Ziel war, möglichst viele Aktivitäten gemeinsam zu schaffen, ohne jemanden zu beschämen. Ich hatte eine PC-Beamer-Einheit mit Whiteboard, so dass wir alle Lehrbuchseiten und Übungsdateien projezieren konnten. Da findet jeder etwas, das er beitragen kann, da kann man auch gemeinsam lesen üben - aber irgendwann kommt dann der Moment, wo alle mal vorlesen müssen bzw. unbedingt auch wollen. Hier wurde unsere Leseklingel eingesetzt. Beim ersten Fehler wurde geklingelt, und der nächste fing wieder von vorne an. Nur die guten Leser schafften es ganz durch das Lesestück. Andere waren oft schon nach ein paar Worten erlöst, weil sie vielleicht nur den ersten Satz auswendig konnten. Sie konnten es auch selbst steuern, wenn sie absichtlich einen Fehler machten. Auf jeden Fall musste man nie hören, wie sich jemand durch die Sätze quält.

 

Aus der gemeinsamen mündlichen Aufgabe mussten umfangreiche Schreibaufgaben erwachsen. Solange "Deutsch 1" eine Stillarbeit hatte, konnte ich mich "Deutsch 2" widmen und umgekehrt. Nun - es war nicht immer wirklich still. Aber alle wussten, dass ich jeweils nur für eine Gruppe da war und mich nicht ständig zur anderen rüberrufen ließ. Oft gab es Lösungsseiten und auch jeweils ein von mir geschriebenes Lösungsheft für jede Gruppe, damit die Schüler wussten, wie es auch in ihren Heften aussehen sollte. Schöne, leserliche Buchstaben mit genügend Abstand zwischen den Wörtern war neben Richtigkeit das oberste Gebot. Ich habe die Arbeits- und Schreibhefte oft eingesammelt, weil ich es im Unterricht nicht geschafft habe, die wesentlichen Fehler zu finden. Um einen Anreiz zu schaffen, sich wirklich anzustrengen, gab es einen einzigen Sticker für das beste Ergebnis und für mehrere davon eine kleine Belohnung zum Aussuchen.

 

Wer schneller fertig war, erhielt eine Ergänzungsaufgabe - z.B. die Lernwörter nach der - die - das geordnet in eine Tabelle ins Heft zu übertragen oder auch einen Text allein/zu zweit noch einmal in Word an einem unserer drei Computer (ohne Internetverbindung!!!) zu schreiben. Es ist sehr erhellend, welche Fehler bei solchen einfachen Übertragungen auftreten. Wer keinen Platz am Computer bekam, konnte sich ein Buch aus der Klassenbücherei nehmen und blättern oder sogar lesen oder auch eine kleine Pause am seinem Platz machen. War ein Computer frei, dann hatte ich einige Lernprogramme freigegeben, die die Schüler immer benutzen durften - allen voran die Lernwerkstatt 8 und ein wunderbares 1x1-Programm (das schadet auch in DaZ nicht), aber auch Jigsaw-Puzzle und Erdkundeprogrämmchen.

 

Gelegentlich gab es umfangreiche Aufgaben, die man weiter bearbeiten konnte, wenn sie erst mal eingeführt waren. So haben wir aus einem normalen A5-Schreibheft für die 2. Klasse ein persönliches ABC-Heft gebastelt. Eine andere Lerngruppe hat Anlauthefte gestaltet. Die Schüler haben passende Wörter in Prospekten gesucht, ausgeschnitten und aufgeklebt. In der Gruppe 2 hatten die Schüler Karteikästen mit alphabetischem Register, in die sie selbst gefundene Wörter samt Artikel, Singular und Plural eintragen konnten. Als Hilfe haben sie Bildwörterbücher und Grundschullexika (von Wahrig) benutzt. Oder sie ließen den Platz frei, um es später gemeinsam nachzutragen.

 

Jeder Schüler hatte in seinem Fach auch einen Umschlag mit einem Mini-LÜK-Kasten, einem Übungsheft und einem Überblickszettel, in den man erledigte Aufgaben eintragen konnte. Nachdem das Arbeiten damit eingeführt war, konnten die Schüler Leerlauf sinnvoll mit dem "LÜK-Lehrer" überbrücken. Mit einer Gruppe habe ich auch einmal ein Lesestück vertont. Die Schüler hatten eine Powerpoint-Datei mit dem Abbild der Seite, die vorgelesen werden sollte. Sie konnten sich den Soundlautsprecher aufrufen und per Headset jeden Satz einzeln einlesen, abhören und ggf. korrigieren, wenn sie nicht damit zufrieden waren.

 

Du siehst schon, liebe Inga, dass neben dem Mut zu geruhsam langen Aufgaben (nicht schnell, sondern gut - und ggf. alles schön anmalen) auch die Nutzung technischer Möglichkeiten bei meinen Differnzierungsmaßnahmen eine große Rolle gespielt haben. Ich finde, am Anfang sollte man sich im Alpha-Unterricht Zeit lassen. Was nützt die schönste Schnelligkeit, wenn die Nerven dabei auf der Strecke bleiben. Und wenn ich mir so manche Arbeitshefte ansehe, dann scheinen die Autoren keine Vorstellung davon zu haben, wie oft manche Schüler etwas lesen und schreiben müssen, ehe sie sich Buchstaben, Silben und Wörter einprägen können - von Textverständnis ganz zu schweigen.

 

Ich hoffe, diese Vorschläge helfen dir, falls du jemals in die Situation kommst ...

Liebe Grüße,

Angelika

Vorschaubild: Quelle privat.