Vor einem Jahr hätte ich noch behauptet, dass Alphakurse für Erwachsene mich überhaupt nicht interessieren. Nach zwei Hospitationen habe ich einen kleinen Einblick gewonnen und stelle fest, dass die Probleme eigentlich die gleichen sind wie bei jugendlichen Analphabeten. Sie können auch in ihrer eigenen Sprache nicht schreiben und sind darum vollständig auf ihr Erinnerungsvermögen angewiesen. Sie können sich Buchstaben und Wörter schlecht merken. Sie verstehen viele Erklärungen in der fremden Sprache nicht. Und sie haben das Lernen nicht gelernt.
Selbst in Integrationskursen mit Alphabetisierung geht die Schere ganz schnell weit auseinander. In einem Kurs konnte ich feststellen, dass schon kurz nach Kursbeginn 6 von 16 Teilnehmern drohten, den Anschluss zu verlieren oder ihn bereits verloren hatten. Es waren überwiegend Frauen zwischen 40 und 60, ohne oder nur mit geringer Schulerfahrung und Versorgerinnen großer Familien mit bis zu 9 Kindern. Wenn man bedenkt, wie viele Pflichtstunden noch vor ihnen liegen.
In einem anderen Kurs lief es besser. Darum stellt sich die Frage: Welche Lernmaterialien stehen zur Verfügung, um gerade schwache Teilnehmer zu unterstützen? Alles geht bei ihnen noch langsamer, als man sich das vorstellen kann. Die Kursleiterin des 2. Kurses hatte sich darum entschlossen, zunächst nur einige Großbuchstaben einzuführen - das betraf auch die Namenskärtchen. Das gibt es als Arbeitsblättern (z.B. von Grundschulmaterial.de), aus Alpha-Lehrwerken kenne ich einen solchen Ansatz aber nicht.
Aktuell kenne ich 5 Lehrwerke für die Alphabetisierung von Erwachsenen:
1) Das Hamburger ABC vom Eigenverlag Herma Wäbs
2) Alphamar von Langenscheidt/Klett,
3) Alphaplus von Cornelsen,
4) Von A bis Z - Alphabetisierungskurs A1 von Klett und
5) Schritte plus Alpha (drei-bändig und in der kompakten Version) von Hueber.
Am einfachsten und vom Material her am umfangreichsten sind die Hefte des Hamburger ABC. Man kann sie nur per Mail direkt beim Verlag bestellen. Sie sind für alle Altersgruppen einzusetzen, da die Anrede in den Aufgabenstellungen neutral ist (Bitte das Wort lesen und zum passenden Bild schreiben:) und weil es zumindest in den ersten Heften nicht um Themen geht. Darum konnte ich einen Teil der Aufgaben auch mit meinen Schülern ausprobieren. Als alleinigen Kurs fand ich Heft I (PDF) zu gleichförmig. Ganz besonders schlimm fand ich die Schreibweise von Buchstaben mit Oberlängen in den Schreiblinien. Wenn meine Schüler z.B. das kleine "t"so schrieben, hätte ich das nicht akzeptiert. Als Ergänzung und Fundgrube für den Lehrer eignen sich einzelne Seiten einiger Hefte ganz gut. Die Kursleiterin des zweiten Kurses hat das Heft II (PDF) und einige Seiten aus Heft III (PDF) als Arbeitsmaterial für die fortgeschrittenen Lerner angeschafft bzw. genutzt. In den umfangreichen Beispielseiten kann man sich ein gutes Bild von vielen Hefte machen - nicht allerdings vom Heft "Spezial 1, Bildwörterbuch mit Übungsheft, Einführung in den Umgang mit einem Wörterbuch".Ich habe es laminiert und mit rot angemalten Verbfeldern als erstes Wörterbuch in unser Regal gestellt .
Die nächsten Kurse habe ich zwar teilweise in Benutzung gesehen, habe sie aber selbst nie ausprobiert. Darum kann ich auch nur anmerken, was mir als erstes dran aufgefallen ist.
Alphamar wird von meiner Alphabetisierungs-Dozentin stark favorisiert. Es gibt viele Download-Materialien auch im derdieDaF-Portal unter dem Stichwort Alphabetisierung. Das Kursbuch macht einen ganz übersichtlichen und von den Aufgaben her vielfältigen Eindruck. Mich würde stören, dass Schwalaute in die Anlauttabelle Einzug gefunden haben. Es gibt linguistische Finessen, denen man m.E. bei absoluten Sprach- und Lernanfängern aus dem Weg gehen sollte. Dagegen finde ich umfangreiche Schreibübungen unabdingbar. Das Kursbuch konnte ich mir ausleihen. Dort sind es nicht so viele. Was das Übungsbuch bietet, kann man auf der Verlagswebsite nicht feststellen.
Alphaplus ist ebenfalls ein Duo aus Kursbuch und Übungsbuch. Das Querformat finde ich in der Enge mancher Kursräume hinderlich, zumal ein Drittel der Breite eigentlich eher aus Infos für den Lehrer besteht. Die Teilnehmer des einen Kurses hatten gebeten, das Buch zu Hause lassen zu dürfen, weil es so schwer ist. Da nützt es natürlich wenig und bestärkt mich in der Annahme, dass Bücher für Anfänger eher leicht in Gewicht und Darstellung sein sollten. Seit der Verlag die Website umgestaltet hat, fühlt man sich wie auf einer leeren Baustelle. Inhaltlich erfährt man so gut wie nichts. Es beschleicht mich der Eindruck, die wollen gar nichts verkaufen.
Von A bis Z ist geschrieben von Alexis Feldmeier, dem Verfasser des BAMF-Konzepts für bundesweite Alphabetisierungskurse (PDF). Da erhält man die Grundlagen und ihre Realisierung sozusagen aus einer Hand. Glücklicherweise kann man hier endlich mal wieder im Kursbuch (Lb) und auch im Übungsbuch (Lb) blättern. Zum Download gibt es u.a. 36 Seiten Arbeitsblätter zur Differenzierung (PDF) - darin z.B. auch Leseteppiche und viele andere Übungsarten. Aber einen Buchstabenlehrgang mit vielfältigen Schreibübungen suche ich vergebens. Stattdessen finden sich Aufgaben wie diese: "Suchen Sie die Familienwörter." Vater ... - ohne dass es weitere Suchhilfen (Schwester, Bruder, Tochter, Mutter) gäbe und ohne dass die Wörter von den Lernern vorher schon einmal geschrieben worden wären. Meine Schüler hätten so nicht schreiben und lesen gelernt. Meine Erwartungen hat das Lehrwerk nicht erfüllt. Dabei war ich von einem Vortrag des Autors an der Uni recht angetan gewesen. Er schlägt vpr, dass der Unterricht in Alpha-Kursen über einen längeren Zeitraum (ich glaube, es waren 5 Woche, finde das aber i.M. nirgendwo konkret bestätigt) vorwiegend mündlich arbeiten sollte, ehe man mit dem Lesen und Schreiben beginnt. Das wäre eine Zeit, in der man einen Grundwortschatz (z.B. von Anlautwörtern) aufbauen könnte und Sprachmuster in Dialogen üben könnte, die beim Kennenlernen halt so üblich sind. Es wäre m.E. auch die Zeit, wo die Teilnehmer im Zusammenspiel mit einer wachsenden Anlauttabelle zunächst die Großbuchstaben kennenlernen könnten. Auch liesse sich hier gut die im BAMF-Konzept befürwortete kontrastive Alphabetisierung in der Zweitsprache Deutsch (S. 110) anbahnen. Ob dazu etwas im Lehrerband steht, weiß ich nicht. In der Uni-Bibliothek "war er aus" und kaufen wollte ich ihn mir nicht.
Den 5. Kurs habe ich "in seiner Jugendversion" bereits vorgestellt. Schritte plus Alpha Band 1(-3) ist das Original für Erwachsene aus dessen Kompaktversion dann der Kurs für Jugendliche entwickelt wurde. Ich finde es nach wie vor hilfreich, dass hier viel Schreiben und Lesen in einem einzigen Buch
geboten wird. Hinzu kommen pro Normalband 8 Themen, jeweils mit einem Bild zur Einführung, mit angepasstem Wortschatz und inhaltlichen Übungsaufgaben passend zum Thema. Natürlich muss man hier ergänzende Aufgaben für die besonderen Bedingungen im eigenen Kurs suchen. Aber das muss man auc bei den Lehrwerken, die doppelt so viel kosten und wiegen.
Wenn man den Schritte-Kurs erfolgreich abgeschlossen hat, dann könnt man für schwache Lerner zum Heft "Bitte einsteigen - Wörter - Sätze - Situationen" (Lb) vom Klett Verlag greifen. Ich hatte es oben nicht genannt, weil es die Alphabetisierung voraussetzt. Das Heft ist mit 47 Seiten das dünnste aller Lehrwerke, die mir bisher begegnet sind. Mit 10 alltagsrelevanten Themen ansprechend und übersichtlich präsentiert ist es für mich wieder ein Beispiel für den "sanften Einstieg" in die deutsche Sprache. Es erschlägt nicht so.
Zudem bieten kurze Hefte die Möglichkeit, die Kursteilnehmer erst einmal mit ihren Stärken und Schwächen kennenzulernen, um dann später auf einer besseren Grundlage zu entscheiden, welches Lehrwerk im Anschluss geeignet ist. Ob das in BAMF-Kursen mit engen Zeitvorgaben und geforderten Abschlussprüfungen zu realisieren ist, weiß ich nicht. So etwas interessiert mich aber auch gar nicht, denn ich finde, das BAMF sollte sich in seinen Anforderungen der Realität anpassen und nicht umgekehrt. Was nützen viele Kursstunden, wenn man am Ende frustriert ist und den Eindruck bekommt, man habe nichts gelernt.