Saifan liest vor: L û i --> Li --> L û i û m --> Lim --> L û i û m û o --> Molli.
Wir können es erraten - "û" ist Kurdisch und heißt "und". Saifan reiht die Buchstaben mit "und" aneinander. Dadurch hört sie nicht, wie sich die Laute zu Silben und schließlich zum ganzen Wort zusammensetzen. Obwohl wir viel mit Silben geübt haben, erkennt sie "Li" und "mo" nicht. Am Ende dreht sie aber die Reihenfolge der Silben um und erhält "Molli". Saifan hat große Schwierigkeiten mit dem, was für uns selbstverständlich ist. Wenn wir uns einen Text nur ansehen, dann springen uns die Wörter förmlich entgegen. Und Saifan sieht ... nur sehr wenig.
Ähnliche Beobachtungen habe ich auch in Alphabetisierungskursen für Erwachsene gemacht. Selbst nach mehreren Wochen erlesen lernungewohnte Teilnehmer einfache Texte nur ganz mühsam. Wenn man in die Bücher sieht, dann wundert das wenig.
In einem Kursbuch werden bis zur Seite 20 zwar nur 4 Buchstaben gelernt - aber groß / klein und in Druckschrift / Schreibschrift. Die Buchstaben müssen u.a. in Wörtern und Sätzen gefunden und in Lücken hineingeschrieben werden (am Wortanfang bitte sofort groß, falls es ein Nomen ist). In einem anderen Lehrwerk werden auf den ersten 20 Seiten 17 Buchstaben und eine Kombi eingeführt - jeweils groß und klein - also 36 Zeichen. Das sollte man mit mir mal in Chinesisch versuchen.
Es gibt natürlich Lerner, denen sortiert sich das Buchstabengewirr im Gehirn, während sie die ersten deutschen Wörter lernen. Wer aber auch in seiner eigenen Sprache nicht lesen und schreiben kann, weil er wenig oder gar nicht in die Schule gegangen ist, der verliert gleich hier den Anschluss an den Rest der Lerngruppe. Die Lesebox (PDF) ist nun ein Fördermaterial, mit dem man passend zur Kompakt-Fibel für schwache Lerner sehr kleinschrittige Leseübungen machen kann.
Es geht nicht darum, mit dem Material schnell-schnell fertig zu sein. Der Lesebox-Film zeigt vielmehr, dass es ein langwieriger Übungsprozess ist, bis sich Zeichen und Wörter (insbesondere in einer fremden Sprache) im Kopf verankern. Wie diese Übungen auf ältere Lerner zu übertragen sind, darüber schweigen sich die Verlage noch aus. Jüngere Lerner kann man ohne weiteres mit diesem Material arbeiten lassen. Für ältere Jugendliche und Erwachsene sollten Bilder und Wortwahl abgeändert werden - die Vorgehensweise aber nicht. Hier wäre es auch möglich, zunächst nur mit Großbuchstaben zu arbeiten, wie es meine liebste Alphakurs-Leiterin für ihre Gruppe entschieden hat, nachdem sie feststellen musste, dass viele Lerner schon mit Groß und Klein überfordert sind.
Zurück zu den Szenen des Info-Films: Interessant find ich z.B. die Möglichkeit, Lerner ihre eigenen Silbenteppiche legen zu lassen (ab 3:10). Man könnte sie z.B. dem Nachbarn weiterreichen und ihn vorlesen lassen. Auch Silben-Memo-Spiele (ab 5:37 und 6:55) sind eine Möglichkeit, Vorheriges in anderen Zusammenhängen immer wieder zu üben.
Jamela sagte mal: "Ich kann auch so vorlesen!" und hielt sich dabei die Augen zu. Wenn man Sätze mit Silbenkarten auf eine Vorlage legt (ab 9:20) und dabei vorliest, baut sich jeder Satz schrittweise auf. Optik und Akustik werden miteinander verknüpft. Beim "auswendigen Lesen" dagegen gehen Augen und Finger gar nicht oder nur pro forma mit.
Sich die passenden Vorlagen und Kärtchen herzustellen, ist viel Arbeit für "lonesome Kursleiter". Aber es lässt sich in jeder Lerngruppe wiederverwenden, und man muss ja auch nicht quer durch das ganze Alphabet so arbeiten. Besser ist es, bei den ersten 10 Buchstaben mit ihren Silben und Wörtern mehr Zeit zu investieren, um eine gute Grundlage für das weitere Lernen zu schaffen.
Die Schreibbox ist eine Sammlung von Kopiervorlagen, die den Schreiblernprozess unterstützen sollen. Lernungewohnte Menschen haben oft Schwierigkeiten, einen Bleistift locker zu halten und zu führen. Nach kurzer Zeit tun ihnen die Finger weh. Es fällt auf, dass es bei den Buchstabenübungen weniger um gemalte Schönheit der Buchstaben geht, sondern um einen flüssigen Schreibvorgang. Und auch die "Schuß-Tor-Übung" (ab 2:28) ist ein Beispiel dafür, wie zügig ein Stift über das Papier gleiten kann - so eben wie der Ball ins Tor. Einen Teil dieser Ideen würde ich für meine Lerngruppe dankend übernehmen. Ansonsten haben wir den Schreiblehrgang Druckschrift gerne benutzt.
Quelle Tabelle: privat - die übrigen Abbildungen mit frdl. Genehmigung des Mildenberger Verlags.